Am Sonntag war es wieder so weit: Im Stadion an der Hafenstraße wurde wieder ein Hochfest des Fußballs zelebriert. Derby, Topspiel, Traditionsduell: Der Wuppertaler SV traf auf Rot-Weiss Essen. Ich muss gestehen, dass auch mich dieses Spiel nicht kalt lässt, schlagen doch zwei Herzen in meiner Brust: Als gebürtiger Essener habe ich die Hafenstraße schon in Kindertagen kennengelernt und als jemand, der aus Überzeugung in Wuppertal seine Wahlheimat gefunden hat, lässt mich auch der WSV nicht kalt. Zwei Vereine, die sich nichts schenken; Spiele, in denen jedes Tor umkämpft und bejubelt wird; Fans, die an der Grenze zur Totalidentifikation mit dem eigenen Verein manchmal vergessen, dass alles eigentlich nur ein Spiel ist – im besten Fall voller Spannung und Leidenschaft. Ohne sie verkommt das Spiel zum müden und langweiligen Gekicke, ohne Fairness und Respekt vor dem Gegner aber wird es einfach nur schäbig, unsportlich und unansehnlich. Als Fans genießen wir doch die sportlichen Siege, in denen die Gegner an die Wand gespielt und nicht umgeholzt wurden. Die andere Mannschaft ist kein Feind, sondern ein Gegner. Was glauben Sie denn?
Selbst im Paradies muss es Regeln und Autoritäten geben, sonst stünden wir alle vor den Toren des Himmels und niemand würde vor lauter Demut, den anderen den Vortritt zu lassen, hineingelangen. Selbst dort muss also irgendjemand sagen, wo es lang geht. Das könnte selbst im Paradies Anlass zu jenen Diskussionen geben: Was erdreistet diese Person sich, zu sagen, wer zuerst hineingehen darf? Was nimmt sie sich heraus? Ist das nicht die reinste Himmelsdiktatur? Halten sich diese oder jene etwa für etwas Besseres?
Es gehört wohl zur menschlichen Natur, die Zeitgenossen in „Die da“ und „Wir hier“ unterteilen. Das „Wir“ ist wandelbar. Es kann ebenso „Wir Geimpfte“ bedeuten wie „Wir Impfkritiker“ oder „Wir BUGA-Freunde“ wie „Wir BUGA-Skeptiker“. Es kann „Wir Juden“, „Wir Muslime“, „Wir Christen“ oder „Wir Atheisten“ heißen. Eins aber ist wohl klar: Das Recht ist da, wo „Wir“ sind! Die anderen haben unrecht, sonst wären sie ja wie wir! Deshalb sind die anderen immer „Die da“. Und „Die da“ spalten immer die Gesellschaft, weil sie ja nicht „Wir“ sind.
Die Gesellschaft hält es eigentlich aus, wenn eine kleine Minderheit auf der Straße gegen eine Impfpflicht demonstriert. Und wenn BUGA-Befürwortern und -Gegnern miteinander streiten, könnte das an sich dem lebendigen Diskurs der Stadt dienen. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln die Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Wenn die jeweils anderen verunglimpft werden, dann ist das ein grobes Foul, das – analog zum Fußball – dazu führt, vom Spiel ausgeschlossen zu werden. Dazu gehört auch, mit falschen Behauptungen Stimmung zu machen (niemand wird den Sportvereinen die Mittel kürzen, wenn die BUGA kommt) oder unter falscher Flagge zu segeln (viele rechte und antisemitische Spaziergänger verführen unbescholtene Impfängstliche zum Mitlaufen in Gruppen, zu deren „Wir“ Letztere sicher nicht gehören sollten).
Bei all dem kann man vom Fußball lernen. Die spielerische Spaltung in zwei Mannschaften macht das Spiel erst möglich; schön wird es erst, wenn Fairness und Respekt herrschen. Und dann bringt der Fußball immer wieder herausragende Sportler hervor, die aus lauter Lust am Spiel sogar für Mannschaften spielen können, die von Natur aus offenkundig nie zum „Wir“ finden werden. Günter Pröpper ist so einer. Der spielte mit Leidenschaft für den RWE und für den WSV! Bleiben Sie also, egal wofür Sie eintreten, fair und voller Respekt vor den anderen, denn es sind die, die schon bald zu „Wir“ gehören könnten. Ein Essener, der sehr gerne in Wuppertal lebt, kann deshalb voller Inbrunst rufen: Günter, bitte für uns!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 21. Januar 2022.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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